Glaube als Raum - Besondere Erfahrungsräume

Mystik: Leben im Raum der Gegenwart Gottes
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Mystik  (ein Versuch)

„Wo Sehnsucht und Verzweiflung sich paaren, da entsteht die Mystik“ – so der späte Nietzsche. Zum einen Verzweiflung: gerade in Zeiten der Krise erweist sich ein beigebrachter „second-hand-Gott“ als nicht tragfähig. „Der Mensch soll es sich nicht genügen lassen mit einem gedachten Gott, denn wenn der Gedanke vergeht, dann vergeht auch der Gott“, schreibt Meister Eckhart. Oder drastischer der Künstler Christoph Schlingensief angesichts seiner Krebserkrankung: „Was hast du denn da eigentlich geglaubt, Alter? Das war doch alles nur ein einziger Märchenpark! Das ist doch nicht der wirkliche Gott.“

Und zum anderen Sehnsucht: die Ahnung, dass da etwas sein kann, das trägt. Jedoch: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“, sagt Bonhoeffer. Gott ist kein Ding, das ich aus sicherer Distanz haben könnte. Der Schlüssel zur Mystik ist: Unmittelbarkeit – und die kann nicht vermittelt werden. Mystiker sprechen von der „Gottesgeburt in der Seele“. Mystik geschieht, wo ich mich selbst vom Unfassbaren ergreifen lasse. Und dann?
Karl Rahner nennt den Mystiker „einen, der etwas erfahren hat“. Doch geht es wirklich darum, dass „ich“ eine Erfahrung „mache“? Man kann alle möglichen Erfahrungen machen – aber solange da noch ein Ich ist, das eine Erfahrung haben und machen will, solange hat das mit Mystik nichts zu tun.

Wie finde ich dann einen Zugang? „Nimm dich selbst wahr, und wo du dich findest, da lass dich“, schreibt Meister Eckhart. Mystik ist kein Wegträumen, sondern beginnt mit einem nüchternen Wachwerden, mit Achtsamkeit für die Wirklichkeit meines eigenen Lebens. Das kann ich einüben: durch Sammlung, durch Innehalten und Stillwerden, ganz konkret im Alltag und in Begegnungen. Gott nicht hinzudenken, sondern meinem Leben auf den Grund gehen.

Das Ziel ist aber nicht, nur noch um mich zu kreisen – im Gegenteil: „wo du dich findest, da lass dich“. Dieses Lassen wird von Mystikern oft als ein Sterben des Ich beschrieben – ein Zu-Grunde-Gehen. Keiner lässt sich darauf ein, den nicht Sehnsucht und Verzweiflung dazu nötigen. Allein: billiger geht es nicht. Ich kann nicht der Gleiche bleiben und die Mystik hinzu bekommen. „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, schreibt Paulus im Galaterbrief. Doch wer spricht da: Paulus oder Christus?

Ein letztes: Mystik mag sich in besonderen Erfahrungen verdichten, aber diese sind immer nur Durchgangsstationen, die auch wieder gelassen werden müssen. Mystik besteht nicht in Ekstasen und Visionen. Es geht nicht um eine andere Wirklichkeit, sondern darum, diese Wirklichkeit anders zu sehen und zu leben.
Es geht um ein lebendiges Leben aus seinem Ursprung. Oder anders gesagt: um das alltägliche Leben als Raum der Gegenwart Gottes – frei und solidarisch.

Helmut Hof, Leiter Kath. Erwachsenen–Bildungswerk Ba-Fo

Dem Glauben Raum geben - Erfahrungsräume
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Gibt es an der Schule für den Glauben (einen) Raum?

In erster Linie wird man beim Besuch einer Schule an die vielen verschiedenen Schulfächer, die Hausaufgaben, die Leistungserhebungen und schließlich auch an den Schulabschluss denken. Ist daneben auch Platz für den Glauben? Passt es überhaupt, innerhalb einer Institution, in der es um Wissenschaftlichkeit, Konkurrenz und Studierfähigkeit geht, vom Glauben zu reden, geschweige ihn zu leben?

Diese Frage kann ganz eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Da ist ja der konfessionelle Religionsunterricht im Fächerkanon, in dem, wie in anderen Fächern auch, der Glaube thematisiert wird, z.B. anhand biblischer Erzählungen oder von Glaubensvorbildern aus der Kirchengeschichte. Da sind die Schulgottesdienste, die Adventsandacht und viele weitere Angebote der Fachschaft Religion zu nennen, die dem Glauben Raum geben.

Aber darüber hinaus haben einige Schülerinnen und Schüler am Herder-Gymnasium-Forcheim (HGF) noch eine zusätzliche Gelegenheit gefunden, wo sie ihrem Glauben Raum geben können, im Schüler-Bibel-Kreis, kurz SBK. Einmal wöchentlich treffen sich ca. 15 Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen vor dem Unterricht im sog. Meditationsraum des HGF (s. Bild S. 4). Der Raum ist mit Teppich ausgekleidet und darf nur ohne Schuhe betreten werden. Alle sitzen auf Kissen auf dem Boden um ein paar Kerzen oder eine je nach Thema gestaltete Mitte.

Dieser für den Schulalltag eher ungewöhnliche Ort eröffnet eine Atmosphäre des Vertrauens und der Spiritualität, eröffnet „neue Räume“. Jedes Mal hat jemand anderes, frei nach dem Motto „jeder darf – niemand muss“, eine kleine Andacht oder ein Thema vorbereitet. Oft folgt dann ein Austausch, in dem auch die eigenen (Glaubens-)Erfahrungen zur Sprache kommen. Ganz fester Bestandteil jeden Treffens ist das gemeinsame Gebet am Ende, wo alle Anliegen von Dank bis zur (Für-)Bitte laut oder leise vor Gott gebracht werden können. Und selbstverständlich bleibt alles, was in diesem Raum gesagt, mitgeteilt oder gebetet wurde, auch dort, so dass der Meditationsraum am HGF immer wieder, aber mindestens einmal in der Woche, zum Glaubensraum wird.

Kerstin Schilling, Pfarrerin, Religionslehrerin am Herder-Gymnasium Forchheim

Die Gemeinde - Wo Glaube wachsen kann
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Die Gemeinde - Wo Glaube wachsen kann

Auf seiner zweiten Missionsreise kommt Paulus nach Europa. In der Stadt Philippi fällt seine Verkündigung auf fruchtbaren Boden. Eine wohlhabende Geschäftsfrau mit Namen Lidia kommt zum Glauben und lässt sich zusammen mit ihrem ganzen „Haus“ – mit Kindern, Dienern und Sklaven - taufen.

Lidias Haus wird zum Mittelpunkt der ersten christlichen Gemeinde in Europa. Glaube braucht von Anfang eine Gemeinde, um wachsen und gedeihen zu können.

Jesus spricht vom Glauben immer wieder in Bildern aus der Landwirtschaft. Da streut ein Sämann Samen auf das Land. Körner, die auf festgetretene Erde, auf Steine oder unter die Dornen fallen, können nicht wachsen. Wo hingegen Samenkörner auf fruchtbares Land fallen, können sie keimen und sprossen, wachsen und vielfältig Frucht bringen.

Eine Gemeinde ist wie ein fruchtbares Feld. Menschen hören hier nicht nur von Gottes Güte und Liebe. Die Gemeinde ist vor allem der Ort, wo ihr Glaube wachsen und gedeihen kann, wo Glaube genährt und gestärkt wird. Dazu zwei Beispiele:

Für mich ist es immer ein besonderes Erlebnis, wenn sich die Leute beim Abendmahl in St. Johannis die Hand reichen und spüren: „Wir gehören zusammen“. Dazugehören, in einer Gemeinschaft verwurzelt sein– das ist in unserer heutigen schnelllebigen Zeit ein kostbares Gut.

Jeder Gottesdienst endet mit dem Zuspruch des Segens. Bei besonderen Veränderungen im Leben - bei Taufe, Konfirmation oder Trauung – wird dieser Segen ganz persönlich zugesprochen. Menschen gehen in den Alltag oder in einen neuen Abschnitt ihres Lebens in der Gewissheit, dass Gott sie trägt. Wenn ich bei einer Taufe die Eltern oder Paten segne, spüre ich oft, wie berührt auch Menschen sind, die sonst weniger Kontakt zur Gemeinde haben.

Enno Weidt, Pfarrer in St. Johannis